Mit Unterstützung von US-Firmen: Ukraine setzt auf neue AKWs
Mehrere neue Reaktoren – die Ukraine baut ihre Atomwirtschaft aus. Unterstützung kommt von zwei US-Firmen. Doch es gibt Bedenken.
Ein Beispiel eines Mini-AKW ist das schwimmende Kernkraftwerk „Akademik Lomonossow“, das seit Mai 2020 die sibirische Hafenstadt Pewek sowie angrenzende Bergwerke mit Strom und Wärme versorgt. Des Weiteren haben Energoatom und Holtec in diesem Abkommen den Bau einer ukrainischen Produktionsstätte für Komponenten des Trockenlagers für abgebrannte Brennelemente vereinbart.
Mit dabei bei der Unterzeichnung waren auch der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko und der Energie-Attaché der US-Botschaft in Kyjiw, Shawn Anderson. Mit diesem Abkommen, so Energoatom auf seinem Telegram-Kanal, werde man nach dem Krieg die Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze schaffen, regionales Technologiezentrum für SMR-300- und Holtec-Technologien für abgebrannte Brennstoffe werden. Die Ukraine sei auf dem Weg zu einem „Hub für Nukleartechnologien für ganz Europa“.
Im vergangenen September hat die Ukraine zum ersten Mal ein AKW mit Westinghouse-Brennstäben, gemeinsam produziert von Energoatom und Westinghouse, bestückt. Ebenfalls in der vergangenen Woche wurde feierlich mit dem Bau von zwei Atomreaktoren in der ukrainischen Kleinstadt Netischyn bei Chmelnyzkyj begonnen.
Die ersten Reakoren mit US-Technologie
Diese Reaktoren werden die ersten ukrainischen Atomreaktoren sein, die mit US-Technologie gebaut werden. Strategischer Partner des ukrainischen AKW-Betreibers Energoatom beim Bau dieser Reaktoren ist der US-Konzern Westinghouse. Unterstrichen wurde dessen Wille zur langfristigen Zusammenarbeit durch die Anwesenheit des Geschäftsführers von Westinghouse Electric Company, Patrick Fragman, und der US-Botschafterin in der Ukraine Bridget Brink beim feierlichen Baubeginn.
Bereits jetzt habe man alle ukrainischen Atomkraftwerke von ihrer Abhängigkeit von russischen Brennstäben befreit, freute sich Westinghouse-CEO Patrick Fragman in seiner Rede. Insgesamt neun Atomreaktoren will der US-Konzern in der Ukraine bauen, erklärte US-Botschafterin Brink. Zwei davon sollen ebenfalls in Chmelnizki gebaut werden. Das AKW Chmelnizki wäre mit der Fertigstellung der geplanten vier weiteren Reaktoren mit sechs Reaktoren das größte AKW Europas.
Allerdings sind diese beiden Reaktoren sehr umstritten, handelt es sich doch nicht um einen Neubau eines AKW, sondern um einen Weiterbau von 1986 und 1987 begonnenen baulichen Maßnahmen. In einem Beitrag für censor.net hegt die Atomexpertin Olga Koscharna, Mitglied im Expertenrat des ukrainischen Energieministeriums, Zweifel, ob ein moderner Atomreaktor überhaupt in ein in den 80er Jahren entworfenes Gehäuse reinpasst.
Das letzte Mal sei das Gehäuse eines dieser beiden nicht fertig gestellten Reaktoren 2006 nach einem Brand und einer Überschwemmung im Gebäude eingehend untersucht worden. Und bei einer Sitzung des Kollegiums der Staatlichen Atomregulierungsbehörde im November 2009 habe man festgehalten, dass man auf der Grundlage vorliegender Berichte keine endgültige Aussage über langfristige Haltbarkeit der nicht fertig gestellten Bauten treffen könne.
Potenzial für den Export
Bei Holtec ist Energoatom-Chef Kotin ein gern gesehener Gast. In seiner Rede vor dem Beirat gratulierte Kotin in der vergangenen Woche dessen Vorstand für die jüngste Entscheidung der US-Regierung, Holtec einen Kredit von 1,5 Milliarden Dollar für die Wiederinbetriebnahme des stillgelegten AKW Palisades im US-Bundesstaat Michigan zu gewähren.
Die britisch-amerikanische Energieunternehmerin und Energiepolitikexpertin und „Senior Fellow“ des US-amerikanischen Thinktank Atlantic Council, Suriya Evans-Pritchard Jayanti, begrüßt den Ausbau der ukrainischen Atomwirtschaft. Jetzt, da die Ukraine auch an den Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) angeschlossen sei, habe sie ein großes Potenzial für den Export von Atomstrom. Hinzu komme, dass die Ukraine schneller und kostengünstiger produziere als andere Länder, so Evans-Pritchard Jayanti.
Die Ukraine hatte sich zunächst in einem Testlauf am 22. Februar 2022, dem Tag der russischen Intervention, vom russischen und belarussischen Stromnetz abgekoppelt. Am 16. März 2022 folgte dann die Verbindung mit dem kontinentaleuropäischen Stromnetz des Verbandes Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen